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  • Writer's pictureUlrike Nichols

Die Qual der Konsequenzen

Im letzten Monat habe ich einige Bücher von dem nie kleiner werdenden Stapel abgearbeitet: Zunächst Frankenstein, ein Klassiker, dessen Thema, über die Unmöglichkeit mit Konsequenzen zu leben, auch die anderen Bücher bestimmt. Dann The Noise of Time, ein biographischer Roman über Dimitri Shostakovitch, der das Zusammenspiel bzw. den Spagat zwischen Kunst und Macht verhandelt. Juli Zehs Unterleuten ist ein Porträt eines Dorfes im Land Brandenburg, in dem alle Einwohner an der eigenen Rechthaberei zerbrechen. Schließlich den kürzlich verfilmten Roman The Children Act über Ehrlichkeit und Treue und wie schwierig es ist, beides miteinander zu verbinden. Generelles Fazit: Alles tolle Bücher!



 

Mary Shelley. Frankenstein or the Modern Prometheus (Deutsch: Prometheus oder der moderne Prometheus, übersetzt von Christian Grawe et al.)


Den Inhalt von Frankenstein kennt ja jeder, das Buch gelesen, haben erstaunlich wenige. Viktor Frankenstein findet eine Methode, einen aus diversen Teilen zusammengestückten Menschen zum Leben zu erwecken. Dann ist er vom Ergebnis so entsetzt, dass er wegläuft und "das Monster" sich selbst überlässt. Und das Monster lernt! Sprechen, lesen, denken, fühlen. Aber aufgrund seines Aussehens erhält es keine Chance, Teil der menschlichen Gesellschaft zu werden. Und Frankenstein? Beweint seinen Drang, das Geheimnis des Lebens zu entdecken, statt sich mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen. Das Grundproblem menschlicher Innovation. Laufen wir nicht lieber alle weg, statt uns mit unserem täglichen Handeln auseinanderzusetzen und dafür einzustehen?



Julian Barnes. The Noise of Time. (Deutsch: Der Lärm der Zeit, übersetzt von Gertraude Krueger)


Shostakovitch wurde gefeiert. Aber als Stalin nichts mit seiner Musik anfangen kann, wird er plötzlich geächtet und muss damit rechnen, deportiert zu werden. In diesem Roman geht es darum, wie Shostakovitch versucht, sich selbst gegenüber ehrlich zu bleiben, aber immer wieder in den Konflikt mit der Macht gerät und gebeugt wird/sich beugen muss, um zu überleben. Was ist Kunst, wem dient Kunst, wem "gehört" die Kunst? Ist Kunst stärker als das Regime und was oder wem nützt es, wenn Kunst überdauert, aber der Künstler getötet wird? Auch hier geht es in gewisser Weise um das Weglaufen vor Konsequenzen bzw. das Weglaufen vor sich selbst.


"Art is the whisper of history, heard above the noise of time."

"If you turned your back on irony, it curdled into sarcasm. And what good was it then? Sarcasm was irony which had lost its soul." (J. Barnes. The Noise of Time)

Juli Zeh. Unterleuten


Der idyllische Gedanke, aufs Land zu ziehen, in einer kleineren, kuschligeren Gemeinschaft zu leben und der Natur näher zu sein, wird hier gründlich zerstört, denn die Idylle ist eine Mini-Gesellschaft mit strengen hierarchischen Regeln. Aus der Perspektive jedes Dorfbewohners und jeder Dorfbewohnerin wird erzählt. Alle Motivationen und Gründe für das "Ich bin im Recht"-Gefühl treten zutage und das Geflecht wird immer dichter, Kompromisse unmöglich, sodass das Ende eine Tragödie ist und sein muss. Niemand schaut, welche Konsequenzen sein oder ihr Handeln für Andere hat. Alle sind nur auf sich bedacht, meinen aber, das Beste für alle im Sinn zu haben. Diese Blindheit macht eigentlich alle zu Frankensteinen - und auch zu Monstern.


Ian McEwan. The Children Act (Deutsch Kindeswohl, übersetzt von Werner Schmitz)


Sie ist an die 60 und Richterin im Familiengericht. Ihr Mann teilt ihr mit, dass er eine Affäre mit einer jungen Studentin haben möchte. Er möchte die Ehe nicht zerstören, aber auch nicht lügen. Obwohl sie glaubt, dass dies das Ende ist, hält sie ihn nicht zurück. Sie arbeitet, spricht Recht in komplizierten Familienfällen. Dabei lernt sie einen jungen Mann kennen, der zu den Zeugen Jehovas gehört und eine lebensnotwendige Bluttransfusion ablehnt. Da er noch nicht ganz 18 ist, muss sie entscheiden. Sie besucht ihn im Krankenhaus, rettet ihm das Leben und läuft dann vor seinen Fragen und vor ihm davon. Dieser Roman hat mich ein wenig an Schnitzlers Traumnovelle erinnert, weil hier die Frage der (Un)Treue einmal praktisch und einmal theoretisch beleuchtet wird. Konsequenzen auch hier, weglaufen auch hier. Am Ende sprechen sich Ehemann und Ehefrau jedoch aus und kommen sich wieder näher.


(P-.S. Im Film ist die Spannung des Buches leider langatmig und langweilig.)



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